Neutralität und Differenzierung
 
Das Haus wurde im Jahr 1895 gebaut. Etliche größere Villen und ein paar Mietshäuser entstanden zugleich in der Nachbarschaft. Entlang der Chaussee nach Potsdam standen schon lange die preußischen Siedlerhäuser. Alles war in Bewegung, die neue zweigleisige Strecke der Wannseebahn war 1891 eröffnet worden. 10 Jahre später wurde im Dorfkern die Pauluskirche errichtet, die bis heute, mit ihren orangen Backsteinen die Umgebung dominiert.
 
Auf einer Grundstücksgrenze errichtet und an das ähnlich große Nachbarhaus angebaut, macht das Haus fast den Eindruck eines Doppelhauses.
Wie man auf der unscharfen Kopie eines alten Fotos erkennen kann, war die Straßenfassade rustiziert und im Erdgeschoss durch Pilaster und ionische Säulen vertikal gegliedert, im Obergeschoss waren die Fenster durch Ädikulen mit barocken Segmentbogengiebeln gerahmt und ein feingliedriger Wintergarten hauste die Terrasse über der Loggia ein.
Das Dachgeschoss wird durch eine Pseudo-Mansarde gebildet, wie sie im späten 19. Jahrhundert in Berlin üblich war. Ein barocker von Voluten gehaltener Giebel formuliert die Gaube über Loggia und Wintergarten, während die zweite Gaube mit ihrem Segmentbogengiebel das barocke Thema weiterführt.
 
Von all der Differenziertheit war nichts mehr übrig als die letzte Sanierung anstand.
Die Loggia war früh verglast worden und dann, wie die gesamte Fassade, ihres Bauschmucks beraubt worden. Irgendwann war auch die Wand zwischen Haus und Loggia herausgerissen worden. Aus der feinen Loggia war ein stumpfer Erkerkasten geworden. Die Fenster hatte man im gesamten Haus durch wenig gegliederte Kunststofffenster ersetzt.
Der Rauhputz aus der Nachkriegszeit war gut erhalten und in der nachgedunkelten Milchkaffeefarbe gestrichen, die bis in die 80iger Jahre in Westberlin allgegenwärtig war.
Auf der Gartenseite war die Küche in den 70iger Jahren durch einen eingeschossigen Anbau erweitert worden.
Im Inneren war der klare Grundriss der Gründerzeit an vielen Stellen von einem teppichbodengedeckten Labyrinth überwachsen. Die zentrale Diele war nicht mehr auszumachen. Die originalen Innentüren waren bis auf 2 verschwunden und vermauert oder durch furniergedeckte Pappplatten ersetzt.

Was war zu tun?
Das Haus sollte wieder als Unterkunft für eine Familie dienen.
Die labyrinthischen Umbauten konnten entfernt werden. Die Erweiterungen der Vergangenheit, der „Erkerkasten“ und der Küchenanbau sollten bleiben.
Im Ergebnis entstand ein pragmatischer Grundriss um die zentrale Diele mit der Treppe, gleichwertigen Räumen und übereinander angeordneten Bädern.
 
Windfang als „Haus im Haus“ in der Garage
Wintergarten
Die Küche wurde in einen der repräsentativen Räume auf der Straßenseite im Erdgeschoss verlegt wo sie zum lebendigen Mittelpunkt des Hauses wird.
Treppenabsatz Dachgeschoss
Das Treppenhaus erscheint neu im alten Gewand
Das Dach wurde gedämmt. Die Gauben wurden dabei neu gebaut.
Zu den baulichen Qualitäten des Hauses gehören einfache, sinnlich nachvollziehbare Konstruktionen, natürliche Materialien und an einigen Stellen differenzierte handwerkliche Lösungen. Wo noch vorhanden wurden diese Qualitäten freigelegt. Wo sie durch passende alte Elemente ergänzt werden konnten, wurde das gemacht.
Die technischen Anforderungen an Fenster lassen sich im Moment nur durch neue Konstruktionen erfüllen. Lösungen, die dabei an die ästhetische Qualität der vorindustriellen Bauteile heranreichen existieren nicht. Die gewählten Holzfenster mit sogenannten „Denkmalschutzprofilen“ sind ein Kompromiss. Die Plastikfenster des Bestandes waren über das Ende ihrer Lebensdauer hinaus. Wegwerfbauteile dieser Art sind ein ungelöstes Problem.
Wenn Bauteile aus dem Abriss beim Neubau wieder verwendet werden konnten, wurde das gemacht. Beispiele dafür sind Mauerziegel, die vom Mörtel befreit und wieder verwendet werden konnten oder Terrassendielen.
 
Heizung, Elektrizität und die Stränge mussten erneuert werden.
Die Innentüren wurden altneu positioniert. Es sind aufgearbeitete Türen aus der Bauzeit des Hauses. Die Tür- und Fensterbeschläge sind ebenfalls aufgearbeitet, allerdings etwas 10 Jahre jünger als das Haus, weil wir sie schöner fanden.
Die originalen Fußböden waren unter vielen Schichten aus Teppich und Spanplatte erhalten und wurden wo nötig ergänzt und repariert.
An Stelle der alten Küche entstand ein Gartenzimmer, das eine Verbindung zwischen Haus und Garten erzeugt, die bisher fehlte.

An der Fassade war vom bauzeitlichen Stand nichts mehr erhalten. Auch hier wurde pragmatisch und erhaltend mit dem Bestand umgegangen. Der Putz blieb erhalten und eine Schicht aus Rankgittern und farblich abgesetztem Neuanstrich versucht mit den neuen Fenstern und ihrer Gliederung eine feinere Maßstäblichkeit zu gewinnen.
 
Spezifische Neutralität
 
Das Bauen der Gründerzeit zielte auf neutral nutzbare pragmatische Räume ab während für die Konstruktionen spezifische, ästhetisch differenzierte und gleichzeitig funktional standardisierte, pragmatische Lösungen gefunden wurden.
 
Das Bauen der Moderne kann als der umgekehrte Ansatz beschrieben werden. Programmatisch differenzierte Räume werden differenziert ausformuliert. Ein Schlafzimmer ist etwas anderes als ein Wohnzimmer und kann auch nicht leicht als Küche umgenutzt werden. Gleichzeitig werden konstruktive Lösungen möglichst neutral und abstrakt gesucht.
 
Unser Ansatz hier war die funktionale spezifische Neutralität der Gründerzeit mit zeitgenössischen Mitteln wieder herzustellen.
Die konstruktive Differenziertheit der Gründerzeit lässt sich mit den handwerklichen Mittlen des 21. Jahrhunderts nicht wiederfinden, wir haben aber versucht den gleichen Pragmatismus anzuwenden und unsere Ausdrucksmöglichkeiten an Reichtum und Differenziertheit des traditionellen Bauens zu schärfen.
Im Idealfall kann so ein lebendiger konkreter Ausdruck gefunden werden, der die müde gewordene Abstraktion überwindet.
Badezimmer, sämtliche Installationen und Stränge wurden erneuert
Die ehemalige Küche wird zu einem Gartenzimmer
Gartenzimmer auf der Basis des alten Küchenanbaus